Ex-Füchse #17674, 17. Februar 2013, um 21:25
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/sitzenbleiben-ist-lebenszeit-verschwendung-1.3200611
Wie sehen das denn eigentlich die Eltern, bzw. sieht es die (von mir aus auch kinderlose) Bevölkerung?
Ex-Füchse #4596, 17. Februar 2013, um 21:52
Ich halte es für ein probates Mittel Stoff, den man aus welchen Gründen auch immer, nicht gerafft hat zu lernen. Leider ist diese Maßnahme negativ besetzt und widerspricht dem derzeitigen Zwang frühzeitig zum produktiven Werkzeug der Gesellschaft zu werden.
Wenn ich an meinen Werdegang denke, empfinde ich das durchpauken bis zum Beruf ausüben schlicht falsch. Ich hatte da durchaus meine Defizite, hab ich was halbwegs verstanden sind die Grundlagen längst an mir vorbei gegangen. Klick gemacht hat es immer erst später, bei mir z. B. in der Berufsschule, in der ich aus dem Ärmel geschüttelt habe was ich vorher in der Schule noch garnicht gepeilt habe. Menschen haben halt ein unterschiedliches Entwicklungstempo, da is es schon sehr schwierig alle da abzuholen, wo sie gerade stehen.
Inzwischen haben Schüler mehr Möglichkeiten versäumtes aufzuholen, nur wann lässt man ihnen noch die Zeit dazu? Meinen Arbeitsalltag möchte ich nicht mit dem Stress der jetzigen Schüler tauschen. Auf Dauer kann das nicht gutgehen.
Ex-Füchse #365, 17. Februar 2013, um 21:58
Dieser Eintrag wurde entfernt.
Seb1904, 17. Februar 2013, um 22:13
Ich gebe seit Schuljahrsbeinn gerade zwei Sitzenbleibern (jungs von Freunden, 7. und 11. Klasse) Nachhilfe.
Die Schwächen ziehen sich durch (fast) alle Fächer, in beiden Fällen - und mir scheint das durchaus typisch - ist eklatanter Grundlagenmangel festzustellen: Vokabeln, Grammatik, mathematisches Basiswissen.
Beide Halbjahrszeugnisse sind deutlich versetzungswürdig.
Da tut offenbar das eine Jahr Wiederholung recht gut.
Außerdem stelle ich fest, dass durch es den Jungs gut tut, in der Schule mal wieder Erfolgserlebnisse zu haben. Ne zwei in Latein, wo es sonst dreimal 5 - in folge gab. Balsam für die Seele, auch die der Eltern.
Es wird wie immer eine Einzelfallbetrachtung notwendig sein, aber pauschal abschaffen würde ich die Ehrenrunde sicher nicht wollen.
Im übrigen ist das auch eine Chance, einen Fehler zu ehrgeiziger Eltern, die ihr Kann-Kind zu früh eingeschult haben, zu korrigieren.
Friedrich, 17. Februar 2013, um 22:27
Bleibt man beim gegliederten Schulsystem, ist das Festhalten am Wiederholungsprinzip nur konsequent.
Flächendeckende Gesamtschulen wie in Skandinavien mit Ehrenrunden erst ab Klasse Acht wären jedoch mein Favorit. Dafür müssten Teile des Bildungsbürgertums natürlich ihre verhätschelten Vorstadtblagen auf die reale Welt loslassen. "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!" wär dann nich mehr...
PapaSpagetti, 17. Februar 2013, um 22:51
Daumen hoch, Friedrich.
Seb1904, 17. Februar 2013, um 22:52
Nivellierung ist das. Auf dem niedrigstmöglichen Niveau. Wo bleibt die frühest mögliche Begabtenförderung? Ich stelle in Hessen nur fest daß a) zu viele Eltern glauben überschlaue Kinder zu haben (und ihre verhaltensauffälligen Kinder sowohl mit Ritalin füttern als auch im gleichen Atemzug von Kinderpsychologen auf Hochbegabung testen lassen) und daß b) zu viele Lehrkräfte die wirklichen Talente erkennen, fördern und fordern können. Und das soll dann in der Einheitsbreischule besser werden? Ich glaub nicht dran.
PapaSpagetti, 17. Februar 2013, um 23:02
Einheitsbreischule - ich könnte kotzen.
Ich will gern zugeben, dass nach Jahren gezielter Zersetzungsarbeit die heutigen traurigen Reste von Gesamtschulen in der Regel nur noch ein Zerrbild dessen abgeben, was hier pädagogisch gemeint war.
Die sicherlich notwendige innere Differenzierung ist in vielen Fällen nicht mehr ausreichend existent.
Gleichzeitig hat sich die Lebensrealität der Familien dramatisch geändert, meiner Frau haben sie neulich wieder kranke Kinder in die Schule geschickt, weil die Eltern ja beide arbeiten mussten...
Ruhig, Fury.
Seb1904, 17. Februar 2013, um 23:35
Wenn die notwendige innere Differenzierung nicht gegeben ist, was zutrifft, bleibt die Frage, warum das so ist. Die Gesamtschuldebatte gibt es seit den Siebzigern. Und sie wurde von Anfang an beiderseits ideologisiert geführt. Lehrer klagen heute zurecht über steigende Anforderungen abseits des reinen Stoffvermittelns. Sind sie mit einer selektiven und differenzierten individuellen Förderung jedes einzelnen Kindes nicht zusätzlich belastet? Eine Schulklasse hat heute, wenn es gut läuft, 25 Kinder. Da dürfte individualisierte Förderung schon im Ansatz scheitern.
Oder sollten wir uns - das wäre eine Lösung - doppelt so viele Lehrer leisten?
Friedrich, 17. Februar 2013, um 23:36
Ja, die Sache mit dem gemeinsamen Lernen hat natürlich den Nachteil, dass halt jeder ein bisschen doof bleibt - genau aus diesem Grund sind ja auch diese Grundschüler alle dumm wie Brot. ;)
Friedrich, 17. Februar 2013, um 23:40
Sorry Felu, wollte hier keine Schulformdiskussion draus machen. Bin schon stilll... ;)
PapaSpagetti, 17. Februar 2013, um 23:52
ist m.E untrennbar mit dem Thema verbunden.
Stoni, 18. Februar 2013, um 07:39
Ich weiß nicht, welches der verschiedenen Systeme besser geeignet ist, für unsere Kinder.
Ich habe aber keinerlei Verständnis für andauernden Experimente auf Kosten der Kinder ... mal Gesamtschule, mal dreigliedrig, mal jahrgangsübergreifend 1 bis 3, mal gar nicht, mal 1 bis 2, mal Gymnasium ab 5, mal ab 7 ...
Und dann noch der Sog der Privatschulen ... wo die Sprösslinge dann zu elitären, charakterlosen Dronen gezüchtet werden - in einer idealisierten Welt.
Schluss mit dem föderalen Nonsens ... der Unterwerfung unter angebliche Globalisierungszwänge ... menschenwürdige Bildung für unsere Kinder ... von mir aus auch mit Sitzenbleiben.
Seb1904, 18. Februar 2013, um 08:15
Es gäbe keinen Markt für Privatschulen, wenn der Staat/die Länder ihrem Bildungsauftrag mit guten Ergebnissen nachkommen würden.
Das zentrale Argument für private Institute ist doch wohl die individuelle Betreuung bei kleinerer Schüleranzahl pro Klasse, ein besseres Lehrer-Schüler-Verhältnis also.
Stoni, 18. Februar 2013, um 08:20
Das zentrale Argument zumindest hier in Berlin ist die Abwesenheit von Gewalt, Pöbel und Türken ...und der elitäre Bonus für die Eltern ...
Doc_Jule, 18. Februar 2013, um 08:36
solange das dreigliedrige Schulsystem parallel zum Gesamtschulkonzept bestehen bleibt und in den Köpfen des Bildungsbürgertums die Gesamtschule als "Einheitsbreischule" diffamiert wird, kann sich nichts ändern. Dabei machen uns andere Länder schon seit Jahrzehnten vor, dass und wie Gesamtschulen erfolgreich arbeiten, ohne dass die spezielle Förderung der Kinder im oberen und unteren Bereich der Begabungen auf der Strecke bleiben.
Ich beobachte hier in D zunehmend, dass Schulen nur noch darauf ausgerichtet sind, die Kinder möglichst rasch dem Arbeitsmarkt zuzuführen, wobei Defizite in der Bildung und das frühzeitige "Aussortieren" schwächerer Schüler billigend in Kauf genommen werden.
Verschlimmert wird das Ganze noch durch das föderalistische Bildungssystem, wo Schulen zum Experiment auf Kosten der Kinder werden.
Sitzenbleiben ist mMn nicht unbedingt sinnvoll, denn meistens sind ja nicht alle Fächer mit Defiziten behaftet. Es macht also keinen Sinn, dass ein Schüler, der Schwächen in Sprachen aufweist, aber in den Naturwissenschaften gut dasteht, alles wiederholen muss. Hier bietet die Gesamtschule individuelle Lösungen, die das dreigliedrige System nicht hat.
Am meisten empört mich die Tatsache, dass Erfolg in der Schule "käuflich" ist, heißt, Kinder, deren Eltern sich Förderunterricht leisten können (und wollen) , bessere Abschlüsse erzielen als Kinder ärmerer oder bildungsferner Eltern.
Angeblich benötigt jeder 2. Schüler irgendwann während der Schulzeit Nachhilfeunterricht, den Eltern privat finazieren müssen, obwohl die Förderung bei Defiziten doch eigentlich Aufgabe der Schulen sein müsste.
Das schlechte Abschneiden Deutschlands bei den Pisa Studien spricht eine deutliche Sprache, das deutsche Schulsystem ist einfach Murks (sorry, Karl...)
Seb1904, 18. Februar 2013, um 08:58
"Am meisten empört mich die Tatsache, dass Erfolg in der Schule "käuflich" ist, heißt, Kinder, deren Eltern sich Förderunterricht leisten können (und wollen) , bessere Abschlüsse erzielen als Kinder ärmerer oder bildungsferner Eltern."
Deine Empörung wird sich aber ja sicherlich gegen den Staat/die Länder/"das System" richten, die es nicht hinbekommen, alle Kinder ihren Fähigkeiten gemäß optimal zu bilden, oder?
Denjenigen, die diese Defizite erkennen und individuell dagegen angehen, sei es als Anbieter von privaten Bildungsmöglichkeiten oder als Nutzer solcher Angebote, wird man kaum einen Vorwurf machen dürfen.
Auf den elitären Bonus pfeife ich im übrigen gerne, nicht aber darauf zu wissen, dass mein Kind in der Schule nicht Gewalt und Pöbel ausgesetzt ist. Es ist mir darüber hinaus völlig egal, woher die Mitschüler kommen, allerdings ist mir wichtig, dass in Unterricht und Pausen alle Kinder alle Kinder verstehen können, und das geht halt nur, wenn man sich auf eine gemeinsame Sprache einigt.
Auch bei der Sitzenbleiber-Diskussion geht es letztlich um die Mittel, die Mutter Staat bereit ist in die Bildung zu stecken.
Das Vermeiden von Jahrgangswiederholern geht aus meiner Sicht eben nur bei deutlich individuellerer Betreuung der Schülerinnen und Schüler gut. Es fehlen derzeit aber sowohl die qualifizierten Lehrer als auch die Mittel um selbige zu bezahlen.
Im übrigen bin ich bis zum Beweis des Gegenteils davon überzeugt, dass das Argument "die sind ja nicht in allen Fächern schlecht" nicht richtig ist. Meine eigene Erfahrung (auch wenn es schon einige Zeit her ist) ist genau anders. Wer versetzungsgefährdet ist, hat mehrere Defizitfächer. Und die wenigsten, die in Deutsch und Englisch ne fünf abholen, sind dafür in Mathe oder Geschichte Einser-Kandidaten.
Doc_Jule, 18. Februar 2013, um 09:25
selbstverständlich bezieht sich meine Empörung darauf, dass das Schulsystem es überhaupt notwendig macht, dass Förderung gegen Bares angeboten und genutzt wird.
"Gewalt und Pöbel" in der Schule sind, wie in der Gesamtgesellschaft, meines Erachtens Folge des Auseinanderdriftens der gesellschaftlichen Schichten, denen man zwar individuell versuchen kann, sein Kind zu entziehen. Nur führt der Rückzug des Geld- und Bildungsadels auf Gymnasien, Privatschulen und Eliteuniversitäten mitnichten zur Entspannung, sondern verschärft das Dilemma zusätzlich.
Zur "Bildung", wie ich sie mir wünschen würde, gehört neben den "normalen" Fächern eben auch eine gesellschaftliche Bildung, die auch beinhalten sollte, dass Kinder aus eigener Erfahrung im Umgang mit Klassenkameraden lernen, Privilegien nicht als selbstverständlich zu erachten.
Dies beginnt übrigens schon bei der Kleidung, ich bin vehementer Verfechter einer Schuluniform...
Stoni, 18. Februar 2013, um 09:31
Fakt ist halt, dass die Chancengleichheit, Bildung unabhängig der sozialen Herkunft, zunehmend wieder schlechter wird, nachdem sie über Jahrzehnte hart erkämpft wurde.
Im übrigen halte ich es für weniger entscheidend, welches System wir betreiben, für viel wichtiger, wie wir es betreiben und ausstatten ... das aber auch bitte zentral für alle und nicht föderal zersplittert.
Um dem skandinavischen Erfolgsmodell zu folgen, kommt es viel weniger darauf an, Gesamtschulen zu übernehmen, als sich vielmehr den Stellenwert der Kinder dort zu vergegenwärtigen, wo junge, studierte Fachkräfte sich schon im Kindergarten im Verhältnis 4:1 um die Kleinsten kümmern, während in Berlins staatlichen Kitas fast ausnahmslos abgearbeitete Fastrentnerinnen die Kinder 12:1 nur noch maximal beaufsichtigen.
Die Privatschulen entstehen nur dort, Seb, wo es eigentlich gar kein besonderen "Pöbel" oder besondere Gewalt gibt. In Mitte und Prenzlberg jedenfalls gibt es keine gewalttätige, türkische Übermacht, vor der man die deutschen Kinder schützen müsste ... in Kreuzberg, Neukölln haben Privatschulen keine Chance ..
So beobachte ich bei den Privatschulen lediglich die Hinwendung zu einer abgeschotteten, elitären Heile-Welt-Kungelei, die schädlich ist für die Kinder.
Ich habe 2 Unternehmerfreunde aus reichem Hause. Der eine wurde in Tennis- und Golfvereinen sowie elitären Schulen abgeschottet, der andere ging in normale Schulen und wuchs im Fußballverein mit seinen jetzigen Arbeitern auf.
Der eine ist ein snobistisches, arrogantes Porsche fahrendes Arschloch, der andere ist ein sozial fähiger Familienkombi fahrender, verantwortungsvoller Familienvater und Arbeitgeber.
Doc_Jule, 18. Februar 2013, um 09:47
Michael, ich stimme dir in fast allen Punkten uneingeschränkt zu, vor allem darin, dass hier Kinder einen untergeordneten Stellenwert haben, was sich nicht zuletzt auch im finanziellen und personellen Aufwand für Kitas und Schulen zeigt.
Allerdings meine ich, dass die Gesamtschule einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem hat. Es entfällt das frühzeitige Auseinanderdividieren und gibt den Kindern die Möglichkeit, zu erkennen, dass jemand, der vielleicht ein wenig schwerfällig beim Lernen ist, auf der anderen Seite ein begabter Handwerker, Künstler oder Musiker sein kann. Weiterhin bieten sich viel bessere Möglichkeiten, "social skills" zu erwerben, wenn es nicht mehr ausschließlich darum geht, den Status als Gymnasiast oder Realschüler erhalten zu müssen.