Unterhaltung: Krankes Land?

Doc_Jule, 29. März 2012, um 09:12

Initiationsrituale sind bei allen Naturvölkern bekannt...*vielleicht brauchen Männer das einfach.
Das ist jetzt nicht mal unbedingt scherzhaft gemeint, denn bei jungen Mädchen ist der Zeitpunkt der Geschlechtsreife eindeutig, im Gegensatz zu jungen Männern....
Und viele der merkwürdigen Sitten und Gebräuche bei den Verbindungen erinnern sehr an die Männlichkeitsrituale der Naturvölker.....

Stoni, 29. März 2012, um 10:11

Im Gegensatz zu Sebs Anspielung sind gerade Corps viel zu sehr darauf bedacht, mit ihrem Knigge zu renommieren: wer in Anwesenheit von Damen rückwärts trinkt, kann sich sicher sein, die nächsten Veranstaltungen mit Fencheltee zu erleben.
Übermäßiger Alkoholkonsum ist kein Privileg Korporierter, fast alle männlichen Jungspunde testen da wohl ihre Grenzen.

In der Tat sahen sich einige Verbindungen genötigt, Keildefizite durch die Aufnahme verführbarer, selbstwertgestörter Aussenseiter und politischer Randerscheinungen auszugleichen ... Eine Folge der sinkenden Basis innerhalb der Studentenschaft. Es gilt, die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der Verbindungen von beiden Seiten aus zu stoppen.

Es gab und gibt Überlegungen, die Mensur durch Bungee, Fallschirmspringen o.ä. zu ersetzen ... sie ist aber auch ein kulturelles Gut, das unsere Sprache beeinflusst hat ... Pauken, auf ANHIEB gefallen bzw. verstehen ... eine ABFUHR erteilen ... einen ANSCHISS kassieren ... Die Mehrzahl der Verbindungsstudenten trägt heute aber keine Mensuren mehr aus.

Seb1904, 29. März 2012, um 10:40

Es gibt ein schönes Studentenlied, das heisst:

An die Banausen:

Nein, Ihr könnt uns nicht begreifen,
Denen nie ein Burschenband
Als ein immergrüner Reifen
Um die junge Brust sich wand;
Die Ihr auf dem Pfad der Tugend
Durch das harte Dasein trabt
Und darüber eurer Jugend
Frohe Lust verloren habt!

Wer sich legt mit heilen Wangen,
Der kann sanft und sicher ruhn.
Aber keiner soll verlangen,
Dass wir just dasselbe tun.
Wenn wir unsre Waffen schmieden,
Und es schwingt sie jeder Mann,
Ei, so laßt uns doch zufrieden,
Denn es geht Euch gar nichts an!

Wenn wir einst vollendet haben
Blinkt am Grab uns blanke Wehr,
Und auch Euch wird man begraben
Doch kein Bursch senkt Euch den Speer.
Lasst uns schwärmen, lasst uns singen,
Bis das Lied zu Ende geht,
Aber redet nicht von Dingen,
Die Ihr einmal nicht versteht.

Ex-Füchse #365, 29. März 2012, um 11:27

Dann greif ich mal die Schlusszeile des Liedes auf:
Ich versteh diese Dinge nämlich wirklich nicht!
Ich sehe nicht, welche Ideale Ihr Burschenschaftler vertretet. Was sind es für Werte, die Euch einen?
Bisher sind mir sowohl Seb als auch Stoni die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben.
Gemeinsam saufen, raufen, Leider singen und irgendwie Spaß haben? Na ja, das ist eigentlich etwas mager und in meinen Augen auch nicht weit entfernt von den Vorstellungen ganz anderer vor allem männlich dominierter Jugendgruppen, von denen Ihr Euch mit Sicherheit deutlich abgrenzen möchtet.
Aber fragt doch mal die Jungs aus der proletarischen Ghettogang, was sie zusammen hält: Saufen, raufen und Spaß haben gehören sicher dazu und Lieder singen letztlich sogar auch, die singen halt Ghetto-Rap und Hip Hop. Und die Fußball-Hooligans? Fragt sie: Saufen, raufen, Spaß haben und Fangesänge grölen.

Stoni, 29. März 2012, um 12:01

Es heisst Burschenschafter, Eva, ohne "l" und ich bin keiner.
Burschenschaften sind nur ein 10% (?) Teil der Verbindungen.
Das Verbindungswesen ist sehr heterogen, insofern auch schwer allgemein darüber zu reden.
Gemeinsam ist ja schon mal, dass es überhaupt Werte und Ideale gibt, die hochgehalten werden.
Und gemeinsam ist auch, dass gemeinschaftsorientierte Werte vermittelt werden, in unseren Zeiten egozentrischer Nutzenmaximierung finde ich das besonders wichtig, sich mit ganzer Kraft zum Wohle und Fortschritt der Gemeinschaft einzusetzen, statt als seelenloser Einzelgänger nur für sich den bestmöglichen Weg zu suchen.
Eine Abgrenzung gegen andere Gruppen ist nicht nötig, jeder kann und soll machen, was er für richtig hält.
Letztendlich sind Verbindungen auch so etwas wie akademische Ghettogangs ;-), die als Freund- oder Bruderschaft ja auch funktionieren können...
Man schliesst sich zusammen, um gemeinsam die Lebensaufgaben zu bewältigen. Natürlich herrschen bei Verbindungen noch weitere Prinzipien. Gemeinsam Bildungsaufgaben in Lehre und Persönlichkeit zu bewältigen, diese im Spiegel der unterschiedlichen Generationen zu (er)leben.
Neben der amicitia werden Prinzipien wie scientia (Wissenschaft), patria (Vaterland, Heimat) - Dienst an der Gemeinschaft in Verbindung mit dem Toleranzprinzip, Lebensbund, Ehrenhaftigkeit - Ehrlichkeit gelebt, bei Burschenschaften eher politische sowie wie bei Verbindungen mit corpsähnlichem Charakter eher gesellig- gesellschaftliche Prinzipien mit kosmopolitischen Inhalten, wie es das freimaurerische Bundeslied beschreibt:

Brüder, reicht die Hand zum Bunde!
Diese schöne Feierstunde
Führ uns hin zu lichten Höhn!
Laßt, was irdisch ist, entfliehen,
Unsrer Freundschaft Harmonien
|: Dauern ewig, fest und schön. :|

Preis und Dank dem Weltenmeister,
Der die Herzen, der die Geister
Für ein ewig Wirken schuf!
Licht und Recht und Tugend schaffen
Durch der Wahrheit heil'ge Waffen,
|: Sei uns göttlicher Beruf. :|

Ihr, auf diesem Stern die Besten,
Menschen all im Ost und Westen
Wie im Süden und im Nord!
Wahrheit suchen, Tugend üben,
Gott und Menschen herzlich lieben,
|: Das sei unser Lösungswort. :|

Ex-Füchse #365, 29. März 2012, um 12:18
zuletzt bearbeitet am 29. März 2012, um 12:29

Erst mal, Danke, Stoni.
Immerhin weiß ich jetzt etwas mehr. ;-)
Wobei diese Prinzipien zum Teil schon einige Begriffe enthalten, mit denen ich mich nicht identifizieren kann.
Z.B. das Wort "Vaterland". In einer globalisierten Gesellschaft eigentlich ein Anachronismus.
Und das Wort "Ehrenhaftigkeit" müsste zumindest näher erklärt werden. Denn jeder definiert "Ehre" anders.
Für die konservativen Muslime ist "Ehre" die sexuelle Unberührtheit einer unverheirateten Frau - was letztlich in "Ehren"morden gipfeln kann.
Für den Wehrmachtssoldaten gehörte zur Ehre der unbedingte Gehorsam, den man den Heerführern zu schulden glaubte. In den Augen anderer Menschen handelte der Deserteur letztlich jedoch viel ehrenhafter als der folgsame Soldat.
Und dann fällt mir gerade noch der "Ehren"sold ein. ;-)
Man könnte diese Ehren-Liste endlos fortsetzen. Aber ich denke, diese Beispiele reichen schon aus, um zu zeigen, dass das Wort "Ehre" erst mal nichts weiter ist als eine Worthülse.
Lebensbund ist auch so ein schwammiger Begriff. Im Kreuzworträstel wird es immer mit "Ehe"gleichgesetzt. Tja und oft genug währt nicht mal diese in der heutigen Zeit wirklich ein Leben lang. Wenn ich nicht mal dem Vater oder der Mutter meiner Kinder auf ewig verbunden sein kann, wieso sollte ich das dann anderen Menschen gegenüber sein, mit denen mich letztlich nicht mehr verbindet als eine gemeinsam verbrachte schöne Studentenzeit?

Stoni, 29. März 2012, um 13:16

Deshalb wird der Begriff Vaterland bei uns auch nicht losgelöst begriffen. Er lebt als patria (Vaterland, Heimat), bezieht sich auf die eigenen Wurzeln, aber auch auf Heimat, Familie, Gesellschaft, enthält im Wesentlichen den Dienst an der Gemeinschaft und ist gerade bei Corps stets in Verbindung mit dem Toleranzprinzip zu sehen, dem Ablehnen jeder nationalistischen Überhöhung und der Offenheit für kosmopolitische Einflüsse, die auch den ganzen Erdkreis als Heimat betrachtet (Weltbürgertum). Im Bundeslied findest du das an mehreren Stellen "Ihr, auf diesem Stern die Besten", "Weltenmeister" oder "Menschen all im Ost und Westen
Wie im Süden und im Nord! "

Auch die Ehrenhaftigkeit ist nicht im Sinne von Standesehre o.ä. definiert - sondern dem Bekenntnis zu gesetzlichen und moralischen Bestimmungen, insbesondere der Ehrlichkeit und Übernahme von Verantwortung in der Gemeinschaft.

Der Lebensbund funktioniert doch seit Jahrhunderten. Auf Veranstaltungen siehst du viele, viele Alte Herren, die es sich auch Jahrzehnte nach ihrer Studienzeit nicht nehmen lassen, ihre Gemeinschaft, Freunde, Bundes- und Corpsbrüder aufzusuchen. Fast alle Korporierte zählen nicht wenige Corpsbrüder auch zu ihren besten Freunden.

zur Übersichtzum Anfang der Seite