Kontra120, 27. März 2012, um 13:42
Na denn schmeiße ich mal ne Runde Bier, da es sich zu einem Stammtischgespräch entwickelt.
Es ist doch nunmal so, dass man in vielen Berufen nicht sonderlich viel Wissen benötigt.
Als gelernter Kaufmann muss ich zum Beispiel ein bissl Prozentrechnen können, um Waren zu kalkulieren. Selbst das wird mir in der heutigen Zeit abgenommen, denn es lebe das Kalkulationsprogramm in denen nur noch Zahlen eingefügt werden müssen. Die vertriebliche Ader hat man, oder man hat sie nicht.
Dann gehen wir mal ins Handwerkliche. Selbst beim Dachdecker braucht man nicht viel Wissen, denn der Lattabstand für Dachziegel oder Dachsteine werden meist von den Lieferanten vorgegeben. Das Gefälle der Dachrinne errechnet heutzutage auch schon ein Programm.
Selbst in der Verwaltung reicht doch eigentlich ne kurze Einarbeitung, denn man wiederholt doch seine Gänge immer und immer wieder.
Sorry Noddy, aber eine Ausbildung soll doch eine große Fläche eines Berufes Abdecken, und jeder sollte sich doch auch in verschiedenen Bereichen des erlernten Berufes zurechtfinden können
Stoni, 27. März 2012, um 14:32
Bildung ist auch Persönlichkeitsbildung. Und wenn ich fehlende Bildung und Persönlichkeit beklage, dann ziele ich auf den Bereich der Entscheider und Manager, weil es dort am meisten weh tut.
Schon die New Economy Welle hat junge, unstudierte und auch sonst nicht gerade breit ausgebildete Nerds in wichtige Positionen gebracht. Die Welle der zunehmenden Dominanz des Finanzmarktes hat ebenfalls junge Fachidioten in entscheidende Positionen gespült.
Immer mehr wichtige Positionen werden von charakterlosen Nerds besetzt, die weder eine räumliche noch eine emotionale oder soziale Nähe zu den Unternehmen haben.
Turbo-Abitur und -studium, reines Fachwissen ohne musische, gesellschaftliche oder politische Bildung führt dazu, dass mächtige Positionen von Zahnrädern statt von Menschen ausgefüllt werden. Und das ist so gewollt.
Seb1904, 27. März 2012, um 14:55
a) Die Grundschule kannst Du heute schon in drei Jahren durchlaufen.
b) Deutschland hat auf Druck der (international orientierten) Wirtschaft und Industrie vor Jahren begonnen, das Abitur nicht nach 9, sondern bereits nach 8 Gymnasialjahren zu erteilen.
c) Wehr- und begleitend der später eingeführte Wehrersatzdienst wurden von 18 Monaten (noch Anfang der 80er) immer weiter reduziert und schließlich eingestampft.
d) Ebenfalls auf Wunsch der Wirtschaft (z.B. von Siemens habe ich es 2000 selbst gehört) wurde das Studium via Bologna-Prozess reformiert. Der erste, angeblich berufsqualifizierende Abschluß wird nach sechs, spätestens 8 Semestern erreicht. Letzteres war vor Bologna die absolute Minimalstudienzeit.
Sowohl eine relativ breite, ansatzweise humanistische Grundkenntnis, die bis zum Abitur vermittelt werden konnte, als auch eine über den eigenen Fach-Tellerrand schauende Studienzeit (mit durchaus einem dem "studium generale" gewidmeten Bummeljahr) haben der Lebensfähigkeit der Absolventen keinen Abbruch getan.
Auch die Bundeswehr/Zuvieldienst-Zeit hat retrospektiv den wenigsten geschadet, weil sie Augen öffnen konnte für Dinge und Abläufe, mit denen man bis dato nicht in Berührung gekommen war. Nicht wenige gingen als Jungs hin und kamen als Kerle wieder. Oftmals war das auch eine Art Abnabelungshilfe von Mama.
Stoni hat völlig recht zu sagen, daß persönlichkeitsbildende Elemente heute immer mehr über Bord geschmissen werden. Wenn wir Hochschulabsolventen in Entscheiderpositionen bringen, die gerade mal Anfang 20 sind, dürfen wir uns nicht wundern, daß diese Bubis vollkommen überfordert sind, wenn es über das Thema ihrer Bachelor-Hausarbeit hinausgeht.
Aber in ganz Europa ist es ja so gewollt. Europa? Nach wessen Vorbild wohl wurde das neue dreistufige Studienmodell (Bachelor/Master/Promotion) entwickelt?
Doc_Jule, 27. März 2012, um 15:03
volle Zustimmung, sowohl Stoni als auch Seb haben genau das, was ich kurz angerissen habe, ausgeführt...*danke
Seb1904, 27. März 2012, um 15:07
Im übrigen wüßte ich da ein paar Einrichtungen, die durchaus positiv, weil persönlichkeitsbildend, fachübergreifend, gesellschaftsverantwortlich und auf Kontinuität angelegt, in die Menschwerdung junger Studenten einwirken können.
Wohnraumvermittlung inklusive.
Doc_Jule, 27. März 2012, um 16:53
ja, sicher, die gute alte Studenten-WG meinst du bestimmt^^
Musst du mich immer provozieren, Blödmann?? ;-)
Ex-Füchse #4596, 27. März 2012, um 17:24
Die meint er nicht.
belmont, 27. März 2012, um 17:27
Glaub ich auch ;-)
Paranoid, Du bist doch nur neidisch, dass Du nicht in eine Studentenverbindung eintreten und nie an Mensuren teilnehmen konntest, gib's doch zu ;-)
Mal ehrlich, für mich sind studentische Verbindungen schon seit über 30 Jahren antiquiert. Netzwerke nach Art unserer Altvordern sind out. Heutzutage gibt es wahrlich interessantere Möglichkeiten.
Seb1904, 27. März 2012, um 18:52
zuletzt bearbeitet am 27. März 2012, um 19:03
1815 gegründet. 1818 verboten. Karlsbader Beschlüsse. Verfolgt, verhaftet, verboten.
1848. Paulskirche. von Gagern. Carl Schurz. Eine Demokratie ganz wesentlich mitbegründet, auf der heute noch unsere Gesellschaft und unser Grundgesetz fusst.
1871. Bismarck. Eine Periode des Friedens und Gleichgewichts in Deutschland.
Lassalle. Gründer der Sozialdemokratie.
Stresemann.
1938. Wieder Verbot aller Korporationen. (Und ja, ich weiß auch um die Beteiligung von Korporierten an den Greueltaten der Nazis, aber hier geht es gerade um die Positivliste).
Stauffenberg, Goerdeler, Sack.
1949. Adenauer. (Zufall wird mit CV geschrieben).
Herrhausen.
Ich könnte so weitermachen, erspare es mir und Euch aber.
Auch heute noch gibt es in Deutschland korporierte Ministerpräsidenten und Bundesminister (Ramsauer). Sie alle haben in ihren Verbindungen Demokratie gelernt und daß es gut und sinnvoll ist, für unser Land und seine Menschen Verantwortung zu übernehmen. In der Hoffnung, daß es vielleicht doch nicht ganz so krank wird wie manch anderes Land.
Wir haben Metternich überlebt, Hitler und Honecker überlebt, wir werden auch das Internet überleben.
Und das ist gut so.
Viele Grüße vom Blödmann!
Edith fügt noch hinzu, daß Korpos natürlich ein Nischenprodukt sind, heutzutage. Macht aber nix. Waren wir - genau betrachtet - schon immer.
Stoni, 27. März 2012, um 19:23
Es gab aber auch Zeiten, da waren von allen männlichen Studenten 30% (Berlin) bis zu 60% (Bonn) Mitglieder in studentischen Verbindungen.
Ex-Füchse #16890, 27. März 2012, um 19:32
Na, so hatte ich in München zur Quali schon eine gratis Übernachtungsmöglichkeit bei meinen Bundesbrüdern von der Danubia...
Seb1904, 27. März 2012, um 19:40
Damals ging aber nur ein minimaler Prozentsatz der Bevölkerung an die Hochschulen. Insofern relativiert sich das.
Ähnliche Percentages heute würden uns total überfordern.
Stoni, 27. März 2012, um 20:03
Mag sein, Seb, dennoch könnte eine breitere Basis in der Studentenschaft nicht schaden.
Das haben jedoch beide Seiten erschwert.
Die Korporationen selbst, sei es durch politische Radikalismen einiger 'deiner' Burschenschaften, sei es durch elitären Snobismus 'meiner' Corps.
Auf der anderen Seite wird bei kaum einem anderen Thema so viele Vorurteile und Halbwissen gestreut, dienen korporierte Studenten vielen Linken als exemplarisches Feindbild angeblich antiquierter Ewiggestrigen.
Nur mit Mühe konnten Korporierte in der SPD vehindern, dass die Partei die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in Partei und Verbindung über die Mitgliedsbünde der Burschenschaftlichen Gemeinschaft hinaus ausdehnt.
Wenn man die Grundwerte des sog. Lasalle-Kreises, Korporierter in der SPD, durchliest, dann versteht vielleicht, warum auch bei Linken Studenten-Verbindungen auch heute noch aktuell sein können:
Studentenverbindungen sind Lehrstuben der Debatte und Diskussionskultur:
Gerade die Convente (der aktiven Studentinnen und Studenten) können als Lehrstuben für Basisdemokratie dienen. Dies gilt nicht zuletzt Dank des Rotationsprinzips (jedes Semester werden alle Ämter neu gewählt) und der Verpflichtung aller, bei Bedarf selbst Amtsverantwortung zu übernehmen.
Engagement für Gemeinwesen:
Korporationen und die Sozialdemokratie eint die Überzeugung, dass persönliches Engagement für ein demokratisches Gemeinwesen eine wesentliche Grundlage für eine funktionierende solidarische Gesellschaft ist. Während die SPD für dieses Engagement auf der politischen Ebene kämpft, wird es in Verbindungen seit vielen Jahrzehnten im Freundeskreis gelernt und gelebt.
Soziale Verantwortung:
Führungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft dürfen nicht der eigenen Bereicherung dienen. Sie können nur ausgefüllt werden, wenn sie in moralischer und gesellschaftlicher Verantwortung ausgeübt werden. Dies setzt insbesondere voraus, dass der Verteidigung der individuellen Freiheit und der Würde des Menschen höchster Stellenwert eingeräumt wird.
Praktizierte Solidarität:
In den Korporationen wird eine generationenübergreifende Solidarität gepflegt: Wie der Staat das Studium durch Bafög und Zuschusse für Hochschulen unterstützt, unterstützen in Verbindungen berufstätige Mitglieder die studierenden Aktiven. Verbindungen leben einen Generationsvertrag mit Erfolg vor.
Bedeutung umfassender Bildung:
Verbindungsstudenten und Sozialdemokratie eint die Überzeugung, dass Bildung ein wichtiges gesellschaftliches Gut ist, das sowohl eine freie, moderne und demokratische Gesellschaft fordert als auch ein hohes wirtschaftliches Wertschöpfungspotential sicherstellt. Bildung dient nicht nur der Faktenvermittlung, sondern auch der Entwicklung einer Persönlichkeit mit sozialen Kompetenzen, Engagement für den Mitmenschen und die Solidargemeinschaft.
Das in den Studentenverbindungen geltende Lebensbundprinzip (Mitgliedschaft vom Eintritt bis zum Ableben) ist für viele Genossen und ihre Parteimitgliedschaft ebenso wichtig. Gerne geben sie Ihre (politischen) Erfahrungen an Jüngere weiter.
Ex-Füchse #4596, 27. März 2012, um 20:16
Ich fürchte der Thread driftet in eine Richtung wo ich mich lieber ausklinke, wenn ich Seb lese wird mir nur übel.
Seb1904, 27. März 2012, um 22:07
Es ist einfacher zu reagieren, wenn Du schreibst WAS Deinen Brechreiz auslöst.
Ex-Füchse #4596, 27. März 2012, um 23:29
Es kommt häufiger vor, daß ich mir Ansichten anhöre die ich nicht teile, ich hör mir auch Sachen an, die ich ablehne, muss ja jeder selbst wissen und meine Weltverbesserungszeit hab ich hinter mir. Es gibt aber auch immernoch die Momente, da dreh ich mich um und gehe einfach weg. Fühl dich ruhig stehen gelassen.
Seb1904, 27. März 2012, um 23:38
Ist in Ordnung. Wenn Du was nicht verstehst, musst du Dich damit nicht länger belasten.
Seb1904, 27. März 2012, um 23:42
zuletzt bearbeitet am 27. März 2012, um 23:43
Ich finde die Grundwerte des Lassalle-Kreises gut, Stoni. Bin zwar nicht in der SPD (ich bin in gar keiner Partei, war allerdings früher mal für eine autonome Liste in meiner Hochschule politisch aktiv. Believe it or not), aber das gefällt mir.
Und nur der Vollständigkeit halber: BG simmer auch nicht. Aber auch da gilt wie überall im Leben: man sollte nicht alle über einen Kamm scheren.
Stoni, 28. März 2012, um 00:11
Ich bin da auch nicht drin, aber ich habe es gelesen, als ein Bbr. mir sagte, Verbindungen hätten linke Ideale ;-)
Und wenn man per se nicht alles über einen Kamm schert bzw. ausgetretenen Klischees folgt, dann entdeckt man auch mal was Überraschendes.
Lottospieler, 28. März 2012, um 00:17
Seb,
'man sollte nicht alle über einen Kamm scheren'
sehr interessante Aussage wenn ich da deine tollen Sprüche über Eintracht Frankfurt in einem anderen fred lese :-)
Ex-Füchse #197, 28. März 2012, um 00:33
Und stellt Euch vor : Der Fussball ist für alle da ... für dicke,dünne,doofe,intelligente Menschen.
Die Welt ist krank,der Fussball lebt und Hans-Dieter sagt,es geht auch ohne Fussball ???
Benderloin, 28. März 2012, um 01:42
@seb und weil hier solche Ignoranten unterwegs sind die jede vernüftige Diskussion unterbinden hab ich im letzten Tread nicht geantwortet.
Doc_Jule, 28. März 2012, um 06:58
1. interessante Darstellung Stoni, danke, hat mich nachdenklich gemacht
2. dabei bin ich zu folgendem Schluss gekommen:
die Grundwerte des Lasalle-Kreises kann sicherlich auch jede(r) Linke unterschreiben.
3. wenn diese Aussagen für die meisten Korporierten neu und überraschend sind, können sie nicht typisch für studentische Verbindungen im Allgemeinen sein
4. Verbindungen sind Ausdruck einer Elite und die Hilfe und Unterstützung wird in erster Linie den Mitgliedern gewährt. Selbst wenn es innerhalb der Verbindung demokratisch zugehen sollte, ist allein schon die Tatsache einer elitären Abgrenzung zur Gesamtgesellschaft zutiefst undemokratisch
5. ich sehe keinen besonders förderlichen Effekt für die soziale und gesellschaftliche Verantwortung darin, wenn junge Männer mit scharfen Waffen aufeinander losgehen, um sich zu verletzen (ich weiß, es gibt auch nichtschlagende)
6. Ich lasse mich natürlich eines Anderen belehren, aber die Argumente müssen schon verdammt gut sein...
Stoni, 28. März 2012, um 07:39
Viele Vorbehalte gegenüber Verbindungen bestehen nicht zu Unrecht, Jule, und sind verständlich bis selbst eingebrockt, deshalb aber noch nicht unbedingt richtig.
3. Die Aussagen sind nicht neu, aber die Sichtweise, dass Verbindungen auch heute noch EHER was für Linke sind. In der Gründungszeit waren Burschenschafter sowieso links.
4. Menschen, die sich selbst als Elite bezeichnen, sind es schon nicht mehr. Häufig wird das nur hohl von irgendwelchen Cashmere-Kids und Prügelprinzen beansprucht. Leistung als Basis einer Elite ist komplexer zu diskutieren. Verbindungen sind als soziale Konstrukte ähnlich Familie, geliebten Vereine, sie sind Freundeskreise fürs Leben und ich empfinde es als natürlich, zunächst die Seinen zu unterstützen. Elitäre Abgrenzungen kommen vor, lehne ich aber ab.
5. Niemand betreibt heute die Mensur, um sich oder andere zu verletzen.
6. Ich will nicht belehren, nur den Blick etwas öffnen für ein Phänomen, dass einen grossen Wert hat, aber sowohl von innen wie von aussen oft nicht richtig erkannt wird.